Warum Merz vor den Landtagswahlen neue Töne zur Ukraine anschlägt (2024)

Warum Merz vor den Landtagswahlen neue Töne zur Ukraine anschlägt (1)

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Stand: 24.06.2024 16:15 Uhr

Der CDU-Chef ändert seinen Ukraine-Kurs - keine drei Monate vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Merz will seiner Partei so Stimmen sichern und "Verständnis" beweisen.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer

Knapp drei Monate ist es her, dass Friedrich Merz der Bundesregierung vorwarf, die Ukraine zu wenig militärisch zu unterstützen. "Wenn die Ukraine verliert, verlieren wir alle", sagte Merz in einem Interview. Darum müsse Deutschland "mehr helfen, diesen Krieg zu gewinnen".

Es war der 13. März. Am nächsten Tag debattierte der Bundestag einen Antrag, den Marschflugkörper "Taurus" zu liefern. Die Unionsfraktion hatte das ein weiteres Mal beantragt. Auch diesmal sollte Merz scheitern.

Am Sonntag nun saß Friedrich Merz im ZDF und wollte sich nicht mehr zu einer stärkeren Militärhilfe bekennen. "Nein, ich habe immer gesagt, wir hätten am Anfang mehr tun müssen", sagte er. "Aber wir haben jetzt heute den 23. Juni 2024." Sein Tenor: Das Niveau der bisherigen Unterstützung reiche aus.

Plötzlich Verhandlungslösung

Merz’ Blick richtet sich in die Zukunft. Im September wählen Thüringen, Sachsen und Brandenburg ihre Landtage. Und die Union hat offenbar die Unterstützung der Ukraine als ihre Schwachstelle ausgemacht.

Zwar gibt es sowohl in West- wie Ostdeutschland Befürworter und Gegner weiterer Waffenlieferungen. Die Ablehnung ist im Osten aber deutlicher. Mitte Juni forderten hier in einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen 45 Prozent der Befragten weniger Militärhilfe. Im Westen waren es 24 Prozent. Für die bisherige Unionslinie mit mehr Waffen sprachen sich im Osten nur 23 Prozent aus.

Friedrich Merz wechselt seine ganze Tonlage. Wo der März-Merz noch sagte, wer der Ukraine stärkere Hilfe verweigere, erhöhe "nicht etwa die Friedenschancen, sondern erhöht die Kriegsgefahr", sagt der Juni-Merz: "Wir müssen sehen, dass wir Möglichkeiten eröffnen, wie dieser Konflikt irgendwann mal beendet wird."

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Kritik am Bürgergeld für Ukrainer

Die Äußerungen sind Teil eines Klimawandels der gesamten Union. Längst geht es auch um die Unterstützung der Ukrainer hierzulande. Der Thüringer Spitzenkandidat Mario Voigt nannte das Bürgergeld für diese einen "schweren Fehler der Politik".

Brandenburgs CDU-Innenminister Michael Stübgen, sein bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann von der CSU und der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, stellten allesamt Sozialleistungen für wehrfähige ukrainische Männer infrage. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wollte nicht arbeitende Ukrainer gleich ganz in die Ukraine zurückschicken.

In Deutschland erhalten geflohene Ukrainerinnen und Ukrainer seit 2022 Bürgergeld statt die etwas niedrigeren Leistungen als Asylbewerber. Die Prüfung der Aufenthaltsberechtigung entfällt. Mit einem Aufenthaltstitel, den sie wohl ohnehin erhalten würden, hätten sie jedoch auch Anspruch auf Bürgergeld.

Fast schon vergessen scheint, dass sowohl die Unionsfraktion als auch die unionsgeführten Länder diese Entscheidung vor zwei Jahren mittrugen. Der Schwenk der Union kommt zwar nicht allein: Auch FDP-Vertreter und der deutsche Landkreistag äußern sich ähnlich. Bei der Union steckt aber auch Wahlkampfhilfe dahinter.

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Verständnis - auch für Kooperation mit Wagenknecht

Friedrich Merz geht da voran. Anfang Juni soll er in seiner Fraktion den Außenexperten Roderich Kiesewetter ungewohnt deutlich zurückgepfiffen haben. Kiesewetter ist einer der lautesten Unterstützer der Ukraine und wollte dafür auch an der Schuldenbremse rütteln. Merz verwies intern auf die schwierige Lage der CDU in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Im ZDF-Sommerinterview betonte Merz nun gleich dreimal, er "versuche, die Menschen dort zu verstehen". Mit "dort" ist Ostdeutschland gemeint.

Wie es um dieses Verständnis steht, hat Merz nach der Europawahl gezeigt. Im Alleingang erklärte er, dass seine CDU nicht mit der Wagenknecht-Partei BSW zusammenarbeiten könne. Sahra Wagenknecht sei, "in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem".

Dabei erwägt die CDU in allen drei Ländern längst konkret, sich entweder vom BSW tolerieren zu lassen oder doch gar mit ihm zu koalieren. Schließlich sind die Positionen etwa bei Migration und Energiepolitik gar nicht weit auseinander.

Keine 24 Stunden später fing Merz also die eigenen Worte wieder ein und nutzte dabei gleich noch eine Sprachregelung, die Erfurt und Potsdam vorher gefunden hatten: Er habe ja nur über die Bundesebene gesprochen. Vor Ort entschieden die Landesverbände selbst.

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Riskanter Wahlaufruf an Ampel-Anhänger

Am Sonntag wiederholte Merz diese Haltung. Er ging aber noch einen Schritt weiter. Merz rief die Wähler der Ampel-Parteien SPD, FDP und Grüne dazu auf, bei den Landtagswahlen CDU zu wählen. Schließlich drohten ihre Parteien "unter fünf Prozent zu bleiben".

Nur mit einer Stimme für die CDU ließe sich eine "stabile Regierung" gewährleisten, so Merz. Deutlicher hätte er seine Partei kaum Wagenknecht ausliefern können.

Denn bis auf die SPD in Brandenburg liegen die drei Ampel-Parteien tatsächlich überall nur einstellig in Umfragen. Allerdings haben zumindest SPD und Grüne weiterhin gute Chancen, wieder in die drei Landtage einzuziehen. Und bei den Christdemokraten vor Ort galt lange eine "Deutschland-Koalition" aus CDU, SPD und FDP als erklärtes Ziel. Ohne diese Parteien bliebe die CDU im schlimmsten Fall mit AfD und BSW allein zurück.

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Aus einem ersten Platz bei einer Wahl ergeben sich auch keine Konsequenzen für die Regierungsverantwortung. Im Gegenteil: Je mehr Parteien aus den Parlamenten fallen, desto höher ist die Chance, dass die AfD über ein Drittel der Sitze erreicht. Dann müsste die in Teilen rechtsextreme Partei bei wichtigen Entscheidungen wie Verfassungsänderungen einbezogen werden.

Und gerade die CDU in Ostdeutschland hat es seit der verlorenen Landratswahl in Sonneberg tunlichst vermieden, als Teil einer "Allparteienfront" gegen die AfD wahrgenommen zu werden. "Das hilft eher der AfD als uns", heißt es dazu aus der Partei.

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Scholz will weitermachen

Für Friedrich Merz geht es im September um viel. Die Union will nach den Landtagswahlen ihren Kanzlerkandidaten bestimmen. Sollte die CDU dann mindestens zwei von drei Ministerpräsidenten stellen, wird Merz die Kandidatur kaum zu nehmen sein.

Sein Kontrahent hieße aller Voraussicht nach Olaf Scholz. Auch der Bundeskanzler musste sich am Sonntag Fragen "zum Osten" und damit auch zur Ukraine stellen. Im ARD-Sommerinterview sagte Scholz, die Ablehnung der Unterstützung schlage sich auch in den Wahlergebnissen nieder. "Da darf man nicht drum herum reden."

Scholz, der sich persönlich gegen eine "Taurus"-Lieferung und damit gegen Merz stellte, sagt jetzt über die Militärhilfen: "Da gibt es nicht die Alternative, dass wir das jetzt ändern." Deutschland müsse weitermachen - und darüber "im Westen und Osten Deutschlands diskutieren".

In einer Frage klang Scholz aber wie Merz. Die Entscheidung über eine Zusammenarbeit seiner SPD mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" wolle er denen überlassen, "die vor Ort Erfahrung haben".

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Juni 2024 um 15:58 Uhr.

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